„Nur von Verwandelten können Wandlungen ausgehen!“ – Kierkegaard 

Zum zweiten mal wurde ich von der Manufaktur Wachstum zu einer Blogparade eingeladen. Danke schön. Dieses Mal geht es um das Thema: Fortschritt in Beziehung im unternehmerischen Alltag, ein Thema, das mich berührt und beschäftigt, habe ich doch täglich im Coaching mit Menschen zu tun, die nicht am Ende sind, weil sie fachlich überfordert wären/waren, sondern weil ein un-menschlicher Zeitdruck, Leistungsdruck, Perfektionsdruck, Funktionier- und Konkurrenzdruck herrscht.

Insofern sei angemerkt: Es ist die Summe der „Drucke“, die die Menschen krank macht. Und man könnte und sollte an vielen Hebeln ansetzen. Hier soll es aber um den Fortschritt auf der Beziehungsebene im unternehmerischen Alltag gehen.

Meine Losung und Lösung, die ich nicht müde werde zu wiederholen, lautet:

differenzieren – konkretisieren – kommunizieren.

  1. Wer definiert, was Fortschritt ist, sprich, wer hat die Deutungshoheit inne?
  2. Wie lautet der Ist-Zustand? Sie/wir brauchen einen Status Quo. Ohne den dürfte es schwierig werden, den Grad des Fortschritts überhaupt zu erkennen/zu messen.
  3. Woran erkenne ich/wir/Sie denn den Fortschritt bzw. den Stillstand?

Am besten ich berichte mal aus meinem Coaching-Alltag. Die Bandbreite meiner CoachingkundInnen reicht weit: Geschäftsführer ebenso wie Angestellte, die Oberärztin ebenso wie die Krankenschwester, Dienstleister, Menschen aus sogenannten helfenden Berufen en masse und zunehmend Männer 30+, die die ersten Berufsjahre hinter sich haben und sich verwundert und verwundet Augen und Seele reiben, ob sie weiterhin in „so einem Betrieb“ Karriere machen wollen. Und mit „so einem Betrieb“ meinen viele: in so einem auf Leistung und Profit ausgerichteten Betrieb.

Womit wir beim ersten Differenzieren wären: Jede/r von Ihnen leidet auf seine/ihre individuelle Art unter „Beziehungsstörungen“, die sie gerne behoben hätten. Es gibt aber eben nicht DIE Beziehung, und DEN Fortschritt in Beziehungen, sprich, eine allgemeingültige Aussage darüber. Spätestens seit Schultz von Thuns Miteinander reden wissen wir, dass wir alle mit unseren inneren TEAMS und Bewertungslandkarten unterwegs sind, und die Schwierigkeit und Kunst darin besteht, die Vielklänge in uns und untereinander zu stimmen und abzustimmen. Wie das Beziehung gefähren kann, lässt sich gerade in er Politik ablesen: Was der Chef beim Feedback – oder Satiriker im TV – noch für Humor hält, bewertet das Gegenüber als Provokation, Bloßstellung, Abwertung – und schon liegt die Beziehung in Schutt und Asche. Und nun? WER definiert, WAS eine Beziehung auszuhalten hat und klärt, auf welchen WERTEN sie überhaupt beruht? Wird wohl ohne Kommunikation nicht zu klären und zu überbrücken sein. Zurück zum beruflichen Alltag.

Was meinen wir in der Regel mit Fortschritt in Beziehungen im Berufsleben?

Um vom individuellen Ansatz mal wegzukommen, greife ich auf Kundenanworten zurück. Wenn ich die frage, was genau müsste sich denn in ihrer oder der Arbeitswelt verändern, damit sie eine bessere wird, dann antworten fast alle spontan dasselbe: Menschlicher! Es soll und sollte menschlicher zugehen.

Hier wie dort lautet meine Nach-Frage: Woran erkennen Sie denn einen menschlicheren Umgang? Da werden die Antworten schon konkreter: Respekt, Wertschätzung, Augenhöhe, weniger Konkurrenzdruck, kein Großraumbüro, sondern Rückzugsmöglichkeiten; mal Gnade vor Recht ergehen lassen; seine Gefühle zeigen dürfen, seine Kritik ungestraft sagen dürfen, weniger Zeitdruck,  weniger Apparatemedizin, dafür mehr Zeit für emotionale Zuwendung zum Patienten/Klienten.

Sind Führungskräfte Schuld am – unmenschlichen –  Beziehungszustand?

Häufig hat es den Anschein, dass es an den ‚bösen‘ Führungskräften liegt, die nur darauf achten, dass die Bilanz stimmt und eine gute Beziehungskultur nicht existiert. Das mag in großen Firmen so sein. In den mittelständigen Unternehmen hier in der Region treffe ich eher auf Führungskräfte, die dringendst der Nachhilfe bedürften, was Selbstbild, Selbstkenntnis, Werteklarheit  und damit Rollenklarheit angeht – wobei eins das andere bedingt. Bei denjenigen, die den Weg zu mir finden, sieht die Lage unisono anders aus: Die WOLLEN menschlich führen, die SIND menschlich, die setzen sich enorm ein, setzen SICH ungemein unter Druck, eben weil sie diesem ihrem inneren Anspruch gerecht werden wollen. Warum auch das ein Problem sein kann?

Ein Beispiel aus der Praxis: Der GF einer mittelgroßen Firma kam ins Coaching, weil er – ich muss es hier mal sagen: trotz zig Business-Coachings – kurz vorm Burnout stand. Warum? Ich kürze mal ab, auf das, was unser Thema hier angeht: Weil er in der IMMER-Falle festhing: Er wollte IMMER ein guter, fürsorglicher, fördernder, fordernder Chef sein; die MA könnten JEDERZEIT zu ihm kommen, seine Tür stünde IMMER auf; er hätte IMMER ein offenes Ohr für die – privaten! wie beruflichen – Nöte etc.

Hier meint Fortschritt in Beziehung Fortschritt in der SELBST-Beziehung. Es war nötig, die eigenen Bedürfnisse in Beziehung und Balance zu den Führungsbedürfnissen zu bringen. Hier brachte die Selbstklarheit des Chefs – seine veränderte Rollendefinition; sich souveräner und klarer abgrenzen; zwischen Sach- UND Beziehungsebene wechseln zu können, feste ‚Öffnungszeiten‘ etc. – einen Fortschritt an Beziehungsqualität im Unternehmen, den er und seine Mitarbeiter sich vorher nicht hätte ausmalen können. Das kommt meinem Individual-Ansatz entgegen, aber…

Mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz oder Wie aber wandelt man ganze Systeme, wenn es um Beziehungsfortschritt geht?

Ich diskutiere häufig konstruktiv wie kontrovers mit Soziologen – alles Luhmann-Anhänger, die ihn teils noch live an der Uni Bielefeld erlebt haben. Das sind ja alles Hypersystemiker vor dem Herrn. Ich halte mit meinem individual-(psycho)-logischen wie pragmatischen Coaching- wie philosophischen Ganzheitsansatz dagegen. Fang mal erst schön bei Dir selbst an, DICH besser kennen zu lernen – und dann wird das System schon davon profitieren!  Siehe das o.g. Beispiel. Und predige weiterhin meine Überzeugung: dass ein Sowohl-als-auch die beste aller Wahlen ist und jede einseitige Sichtweise letztlich Extremisten produziert. Wenn System, dann würde ich mir dringlichst wünschen, dass es in Schulen ein Fach „Lebens- und Selbstführung“ gibt. Ich stelle gerne mein Konzept zur Verfügung!

Mehr Menschlichkeit im Arbeitsleben: Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das….

Vielleicht haben Sie ja Lust, den Satz für sich oder Ihr Team zu ergänzen. Um das Ganze etwas konkreter zu machen, möchte ich Ihnen gerne einen Denkimpuls mit auf den Weg geben:

  • Wenn Sie den Beziehungszustand in Ihrer Abteilung/Firma/Partnerschaft einschätzen müssten auf einer Skala von 0 bis 10 – wobei 10 die beste aller möglichen Beziehungsqualitäten darstellt – WO stehen Sie gefühlt da jetzt?
  • Gesetzt den Fall, er läge bei Punkt 5. Was müsste passieren, damit Sie EINEN Punkt höher kämen? Und: Woran würden Sie/Ihre Mitarbeiter/Ihre PartnerIn das erkennen?

„Nur von Verwandelten können Wandlungen ausgehen!“, meinte Kierkegaard. Dem stimme ich zu. Schön, dass sich bei der Blogparade hier so viel versammelt haben, die Lust haben und Wissen teilen, um an einer anderen, menschlicheren Arbeitswelt mitzuwirken. Das lässt mich hoffen, dass es schon mehr Verwandelte gibt, als ich zuweilen glaube.

Herzlich dankt und grüßt

Maria Ast

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Wer Interesse hat: Hier noch drei aktuelle Buchtipps, die gut zum Thema passen:

Die gekränkte Gesellschaft – Das Leiden an Entwertung und das Glück durch Anerkennung, Barbara Strohschein, Tiemann Verlag – leicht zu lesen, leicht zu verstehen,  auch aufgrund vieler Beispiele.

Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung, Hartmut Rosa, Suhrkamp – Schon heftiger zu lesen, ich arbeite mich grad durch.

Der neue Chef, Niklas Luhmann – Das schmale Bändchen erlebt grad eine Auferstehung. Allemal lesenswert – und selbst ich habe Herrn Luhmann auf Anhieb verstanden.