Lebenskunst-Facetten: Oktober 2015: Von Festen und Flüchtlingen
Dürfen wir noch feiern und uns freuen?
Wenn ich an Oktober denke, denke ich an buntbelaubte Bäume, an Drachensteigenlassen mit den Kindern früher, an den Apfelmuskuchen meiner Oma, an Kürbissuppe kochen und langsam wieder die Kerzen rauskramen, weil früh dunkel. Also alles auf easy und gemütlich und kuschelig in dieser Kolumne?
Nee, so geht das nicht, denke ich! Seit Tagen arbeite ich mich an diesem Artikel ab, weil ich meine, meinem Anfangsanspruch „Schreib lockerluftigleicht“ gerecht werden zu müssen. Ich merke aber, ich will hier und heute keinen leicht-lockeren Artikel schreiben. Mir geht’s da wie einer Freundin, die ursprünglich fünf Kinder haben wollte,
nach dem ersten schon auf drei reduzierte, um es schließlich bei zweien zu belassen. Oder dem Bekannten, der endlich seinen Traumjob antrat, und nach zwei Jahren Dauerjettens durch die Welt eben jenen hinschmiss. Will meinen? Manches, was in der Vorschau verlockend einfach und traumhaft richtig aussah, stellt sich in der Realität als weniger einfach, beglückend oder angemessen dar.
Ich müsste schon blind, taub und gefühllos sein, wenn ich alle anderen Herbstbilder 2015 ausblenden würde: Bilder von Menschen, die auf der Flucht sind, die kein heimeliges Heim haben, die keinerlei Sicherheit haben, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Das Leid und die Heimatlosigkeit dieser Menschen berühren mich. Es erinnert mich an das Schicksal und Erfahrungen meiner Schwiegereltern. Sie mussten aus Westpreußen fliehen, wurden bei einem Bauern zwangseinquartiert – der darüber alles andere als ‚amused‘, sprich begeistert war.
Wohl dem, wohl uns also, die Heim und Heimat haben und in Sicherheit und Freiheit leben. Da ist es leicht, sich an den schönen Seiten und Dingen des Oktobers und Lebens zu erfreuen. Mir drängt sich ungewollt die Frage auf: Darf ich mich überhaupt noch einfach so an den Schönheiten des Lebens freuen? Müsste ich nicht vielmehr rast- und ruhelos mithelfen, Leid, Elend, Not zu lindern und mildern?
Eine allgemeingültige Antwort habe ich nicht. Für mich gilt das Sowohl-als-auch-Prinzip. Ich versuche, Beides im Blick zu behalten. Ich erlaube mir, die Fülle und Schönheit und die Leichtigkeit des Seins ohne schlechtes Gewissen genießen zu dürfen. Ich versuche, das Leid nicht einfach auszublenden und mich mit den mir zu Verfügung stehenden Mitteln und Energien einzubringen. (Und sei es nur, es hier nicht unter den Wort-Tisch fallen zu lassen!)
„Arbeit und Feier vollenden einander.“ fasste Ludwig Strauss das zusammen. Oktober ist auch Feste-Monat: Wir feiern Nationalfeiertag, Halloween, Oktoberfest, Reformationsfest, Erntedankfest. Feierzeit ist leichte Zeit, ist auch Zeit zu danken, ist Miteinander-fröhlich-sein-wollen-Zeit. Wohlgemerkt: Miteinander, nicht gegeneinander. Tun wir, tun wir was dazu!
Sonnige Oktobertage wünscht Maria Ast
Kolumne: zuerst erschienen unter Lebenskunst-Facetten im Stadtmagazin Spenger Echo, Ausgabe Okt. 2015 – KV-Verlag Claudia Vogt. Meinen nächsten Kolumnenbeitrag finden Sie im Lebenskunstblog am 03.11.2015
P.S. „Das Tun wir, tun wir was dazu!“ kommt aus einem meiner Lieblings(arbeiter)lieder, das mehr denn je passt: Dem Bürgerlied. Zu hören von Zupfgeigenhansel. Text unten stammt von Hannes Wader, der es auch mal gesungen hat.
Das Bürgerlied
Ob wir rote, gelbe Kragen
Helme oder Hüte tragen
Stiefel tragen oder Schuh
Oder ob wir Röcke nähen
Und zu Schuhen Drähte drehen
Das tut, das tut nichts dazu.
Ob wir können präsidieren,
Oder müssen Akten schmieren
Ohne Rast und ohne Ruh
Ob wir just Kollegia lesen
Oder aber binden Besen
Das tut, das tut nichts dazu.
Ob wir stolz zu Rosse reiten,
Oder ob zu Fuß wir schreiten,
Fürbaß unser´m Ziele zu.
Ob uns Kreuze vorne schmücken
Oder Kreuze hinten drücken,
Das tut, das tut nichts dazu.
Aber ob wir Neues bauen
Oder Altes nur verdauen
Wie das Gras verdaut die Kuh
Ob wir in der Welt was schaffen
Oder nur die Welt begaffen
Das tut, das tut was dazu.
Ob im Kopfe etwas Grütze
Und im Herzen Licht und Hitze
Daß es brennt in einem Nu
Oder ob wir hinter Mauern
Stets im Dunkeln träge kauern,
Das tut, das tut was dazu.
Ob wir rüstig und geschäftig
Wo es gilt zu wirken kräftig
Immer tapfer greifen zu
Oder ob wir schläfrig denken
Gott wird’s wohl im Schlafe schenken
Das tut, das tut was dazu!
Drum, ihr Bürger, drum, ihr Brüder
Alle eines Bundes Glieder
Was auch jeder von uns tu!
Alle, die dies Lied gesungen,
So die Alten, wie die Jungen,
Tun wir, tun wir was dazu.
Ihr Bürgerinnen und Schwestern: Wir natürlich auch!