„Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher,
doch dafür sind Schiffe nicht gemacht.“
William G. T. Shedd

Von Ankommen, Aufbrechen und der Kunst, sich ein spannendes Leben zu machen.

Ich weiß noch, welches Ganzkörper-Glücksgefühl mich durchströmte, als ich – seit Jahren mit Kinder, Küche, Kirche busy – an einem strahlend-sonnigen Oktobermorgen die Glasbrücke zur Uni Bielefeld überquerte: ANGEKOMMEN! Endlich! Endlich fängt ein neues, anderes Leben an. Ein aufregendes, ein, huch, abenteuerliches, eins, das meinen Geist, meinen Intellekt fordern, meine Selbstkenntnis fördern, mein tiefes Bedürfnis nach Lernen, Lernen, Lernen – Input! – befriedigen wird. Das war vor gut 20 Jahren.

Woran erkennen wir, Sie, ich dieses Angekommen-Gefühl überhaupt?

Ich erkenne es an einer Art Heimat-Gefühl. Heimat meint für mich: Hier will ich nicht rastlos wieder weg. Hier will ich bleiben. Hier lasst uns drei Hütten bauen. Oder – siehe oben – paradoxerweise, wenn ich zu neuen Ufern aufbreche. In jedem Fall meint es ein intensives Gefühl, das mir innerlich Ruhe, Sicherheit, tiefe Freude schenkt.

Ankommen spezieller, situativer Art

Als letzte Woche die Einladung zur Feier anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Frauenstudiengangs an der Uni Bielefeld eintrudelte, schrieb ich spontan unter PS zurück: „Poh, welch Weg, welch long and winding roads bin ich seitdem gegangen, bis ich das Gefühl hatte: Angekommen!“

Schon während ich es hinschrieb, dachte ich? Was meinste denn eigentlich damit? Das Gefühl von „Angekommen! hatteste doch schon beim Start an der Uni auch? Hatteste in Beziehungen, Freundschaften, beim Partner. Hatteste an ganz bestimmten Orten auf der Erde, beim Hausbau, als du spät, aber immerhin, mit 50 wusstest: Ja! Ich mache mich als Coach selbständig. Was meinte ich also in meiner Mail damit?

Ankommen genereller, spiritueller Art: Geistige Heimat finden.

Im Rückblick sehe ich, dass ich mit dem „Angekommen“ etwas für mich Existenzielleres meinte, als in einem bestimmten Ort, Beruf, Beziehung oder einer neuer Lebensphase anzukommen. Dieses Angekommen-sein bezog sich auf das Finden einer neuen geistigen Heimat, einem Denk-Kontinent, aus dem heraus ich lebe, liebe, denke, arbeite, handle, coache, die Welt und die Menschen darin betrachte. Für mich ist es seit einigen Jahren die Liebe zur Weisheit, der Philosophie. Hier kann, soll, darf ich denken, soweit ich will. Hier muss ich nicht blind, taub und unhinterfragend GLAUBEN, um ewiges oder vorübergehendes Heil zu erlangen. Hier gibt es keine absoluten Wahrheiten und garantierten Sicherheiten. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, meinte schon Sokrates. Diese Art von Haltung/Bescheidenheit fehlte und fehlt mir bei vielen anderen „Glaubensrichtungen“.

Sind Sie auf der Suche nach dem, was Sie erfüllt, befriedigt, dem „Angekommen“-Gefühl?

Dann lohnt es sich, sich bewusst zu machen: Ankommen kann – logischerweise – nur die oder derjenige, die/der sich aufmacht. Ankommen ohne Aufbrechen geht nicht! Mythen und Märchen handeln davon, aus einem – vermeintlich sicheren – Hafen aufzubrechen. Wer immer im Hafen bleibt, bringt sich um das Gefühl des (Wieder)-Ankommens. (Und m.E. auch des Reifens und Wachsens.) Und sei es – Oh, wie schön ist Panama! – ein gewolltes Zurückkehren an den ‚alten‘ Ort, dann aber aus Erkenntnis und Erfahrung, Reflexion und Entscheidung heraus.

Schon Hesse dichtete in seinen „Stufen“:

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Ein spannendes Leben ist nur um den Preis zu haben, dass wir EINEN Pol verlassen, um zum Gegenpol zu streben, in einer immerwährenden Schaukelbewegung. IMMER untewegs ist langweilig. IMMER im Hafen ist langweilig. IMMER aufbrechen kann in Daueraktionismus aus- bzw. entarten. Immer im sicheren Hafen bleiben in Dauerträgheit und Gleichgültigkeit ausarten. Wo stehen SIE gerade?

Wo hatten Sie schon mal das Gefühl des Angekommen-seins? Woran haben Sie es erkannt?

Zwei Übungen dazu finden Sie in meinem LEBENSKUNST-Newsletter Nr. 7 (September 2013)