„Der Kluge mischt eins mit dem anderen:
Er hofft nicht ohne Zweifel und zweifelt nicht ohne Hoffnung.“ – Seneca
„Es mag sein, dass alles fällt, dass die Burgen dieser Welt, um dich her in Trümmer brechen. Halte Du den Glauben fest, dass dich Gott nicht fallen lässt; er hält sein Versprechen.“ klang es heute morgen kurz vor 8.00 aus dem Radio auf WDR3.
Eigentlich mochte ich das Lied immer sehr, dieses Vertrauen trug und trug mich, ließ mich nicht verzweifeln – solange ich noch glaubte. Das ist längst vorüber. Geblieben ist mein ‚Neid‘ auf all jene, die noch so tief vertrauen können, sich fallen lassen können, in einen Gott, der sie trägt und auffängt. Immer. Immer wieder. Aber, was ist mit mir, was mit all den vielen anderen Menschen, die das nicht mehr können? Die Gründe sind mir an dieser Stelle mal egal.
Ihnen wie mir stellt sich die Frage: Worauf vertrauen? Was gibt Halt und Hoffnung , wenn die eigene kleine und die große Welt „um dich her in Trümmer brechen“? Ich habe in meinem Leben mit vielen meiner Ängste auseinandersetzen MÜSSEN: weil sie Herzrasen, Panikattacken, Depression nach sich zogen. Seit der Zeit habe ich eine Auflistung bei mir hängen: Was gibt mir Halt? Angst ist immer ein schlecher Ratgeber, sie ist sozusagen der Gegenpol zur Zuversicht. Ob ich diesen Zustand nun Zuversicht, Hoffnung, Vertrauen nenne, es ist für mich IMMER noch und immer wieder der Königsweg aus alten und neuen Ängsten, aus Ängsten überhaupt.
„Worauf vertrauen?“ lautet dann auch das Kernthema des aktuellen philosophie Magazin.
Mir haben die Artikel und unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema Vertrauen sehr geholfen, wieder in diesen Vertrauensmodus zurückzukehren.
Sehr interessant und einleuchtend argumentiert fand ich z.B. die Begründung, was an den Corona-Skeptikern falsch ist. Die Antworten lauten: Nichts. Erst mal gar nichts. Skepsis ist in einer Demokratie erlaubt. ABER …“Allerdings nur, solange man seinerseits offen bleibt für den Zweifel, die wiederum das eigene Selbstbild betreffen. Verschwörungstheoretiker besitzen diese Offenheit nicht. Vielmehr gehört es zum Bauprinzip ihrer Theorie, dass sie unwiderlegbar ist.“ Wie häufig habe ich genau das und genau SO versucht, im Bekannten- und gar Freundeskreis, anderen das vor Augen zu halten: Dass sie NIE, NIE, NIEMALS ihre Skepsis auf sich und ihre Sicht- und Denkweisen anwenden.
Aus dem Artikel „Spüren Sie ihn auch – diesen leisen Zweifel?“ habe ich noch einen mir bis dato nicht in dieser Deutlichkeit wahrgenommenes Argument mitgenommen: Wir MÜSSEN jeden Tag vertrauen – auch der Wissenschaft, auch den Technikern: Niemand hat wirklich Angst davor, dass seine Treppe im Haus täglich zusammenbrechen könnte oder das Bahnhofsgebäude oder das Kaufhaus, das er /sie betritt. Sprich: Wir vertrauen sogenannten „Wissensexperten“. Und obwohl unser Leben davon abhängt, verlassen wir uns auf dieses Expertenwissen, obwohl wir es nie überprüfen können. Wir können gar nicht selbst Experten für alles sein. Und nun kommt der Sprung zu Corona bzw. den Corona-Leugnern: SIE glauben jetzt SELBST, sie seien die Wissens-Experten zu sein. Schon mehr als schräg…
Nicht-Vertrauen in den Körper steigt – Von schwarzen und weißen Schwänen
Was habe ich noch mitgenommen aus den Artikeln? Interessant fand ich, dass sich das Nicht-Vertrauen immer mehr auf den KÖRPER bezieht: Sie kontrollieren und kontrollieren – bis das Kontrollieren selbst zum Zwang wird und noch mehr Unsicherheit produziert. Der Mann im Artikel-Beispiel sieht selbst, dass er im Grunde genommen völlig bekloppt re-agiert und die Kontrolle ihn kontrolliert. Letztlich KANN er natürlich krank werden: „Denn wie bereits Karl Popper festellte: Auch wenn bisher alle gesichteten Schwäne weiß waren, bleibt der „schwarze Schwan“ möglich.“ Es sei außerdem eine völlig falsche Erwartung, dass ein gesunder Körper quasi „vollkommen ruhig“ sei. Tatsächlich sende er aber immer irgendwas, was nie vollkommen zu kontrollieren sei. Der Rat lautet: Sich etwas widerfahren lassen, von der Natur, die mensch selbst ist. Oder anders ausgedrückt: „Es hieße, den eigenen Leib als Natur zu akzeptieren, darauf vertrauend, dass die Körpervorgänge sich gut vollziehen.“ Wohlgemerkt, hier geht es um das ZU große MIsstrauen in das ‚Funktionieren‘ des eigenen Körpers, nicht darum, jegliche Corona-Gefahr zu leugnen.
Gerade mit dem Thema „Körper vertrauen oder Körper misstrauen“ habe ich reichlichst Erfahrung. Es war, ich gebe es zu, ein langer Weg: mit Achtsamkeitstrainigs, neuen Denkstrategien und vor allen Dingen mit Körpertherapie/Somatic Experience, die mir geholfen haben, meinen Körper nicht mehr als DauerFEIND zu betrachten, sondern als einen Freund, eine Wohnstätte für meine Seele, meinen Geist, meinen Verstand, und dass er eben sein Bestes tut, um die ‚Dinge‘ im Körper im Gleichgewicht zu halten. Es war und ist Arbeit, ja. Ja, ABER – und das möchte ich allen Ängstlichen unbedingt vermitteln: Sie lohnt sich! Ohne Vertrauen AUCH in den Körper ist Selbst-Vertrauen nicht möglich!
Worauf können – oder wollen – Sie vertrauen? Bzw. WEM vertrauen Sie? Was gibt Ihnen Halt? Was GAB Ihnen Halt in ähnlichen Situationen? Vielleicht ist jetzt die Zeit und Chance und Aufgabe da, sich selbst Antworten darauf zu geben.
Buchtipp für alle Allzuangstvollen, die in die Körpertherapie einsteigen wollen: Peter Levines „Das Erwachen des Tigers“ erklärt, wieso ‚das Tier in uns‘ befreit werden muss; warum wir manches nur auf der Körperebene erreichen/verändern können – und mit Denken allein nicht zu lösen ist. (ICH hatte es mit Denken, Denken, Denken versucht – und mich in die Panikattacken und den Burnout GEDACHT!)
Hallo Maria, nach längerer Zeit hab ich noch mal Ast gelesen. Sehr anregend! Das Bild mit dem Körper, den man als Natur wahrnehmen soll, gefällt mir sehr gut. Es erinnert mich an eine Vorstellung, die ich beim autogenen Training hatte: Da habe ich mir vorgestellt, mein liegender Körper sei eine Hügelkette, auf der Bäume wurzeln, über die die Wolken hinwegziehen.
Im Streit um die Seuche geht es allerdings, denke ich, mehr um das Misstrauen, das man gegenüber „den anderen“ entwickelt. Und zwar auf beiden Seiten des Streits. Die Angst scheint daher zu kommen, dass wir dazu neigen, der anderen Seite viel potenziell schädliche Macht zuzutrauen. Was könnte dagegen helfen? Vielleicht die Vorstellung, dass es „die anderen“ gar nicht gibt – es gibt nur lauter unterschiedliche Einzelmenschen. Und jeder davon fühlt sich wahrscheinlich genau so ohnmächtig wie ich selbst (wenn ich mich gerade ohnmächtig fühle).
Ein frohes neues Jahr wünscht Dir
Jens