Wer die 50 überschritten hat, wen die ersten Zipperlein plagen, wer sich um seine alten Eltern kümmern muss, die „plötzlich“ nicht mehr alleine klar kommen, wer beim Blick auf seinen Rentenbescheid schon jetzt leichenblass wird, dem stellt sich – gewollt oder nicht – immer drängender die Frage:
Wie geht Leben im Alter? Spezieller: Wie geht Leben für MICH im Alter? Wie will ICH leben? Wie keinesfalls ? Gibt es alternative Lebensformen? Wenn ja, welche?
Das Buch „Grau ist bunt“ von Henning Scherf, gewährt sehr persönlicheund sehr offene Einblicke in seine Vorstellungen, Visionen und sein konkretes Leben, Streiten, Diskutieren, Gemeinsam-Sein in einer bzw. seiner„Alten-WG“ in Bremen. Statt sich im Alter, „tot zu amüsieren“ oder einsam und vereinsamt in seiner Single-Altenwohnung vor sich hinzuleben, möchte er Mut machen: Auf das zu schauen, was noch möglich ist; sich einzubringen und vor allen Dingen, Jung und ALT zusammen zu bringen, um sich gegenseitig zu beleben, zu entlasten, zu bereichern. Er gibt viele konkrete Beispiele, wie das möglich sein könnte oder schon gelebt wird.
Als ehemaliger Politiker vergisst er dabei die polische Komponente nicht, da sie häufig erst den Rahmen dafür schaffen muss, dass Menschen wagen, andere Formen für sich zu finden, sich wieder einzubringen, ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen – die erworbene Weisheit – mit Jüngeren zu teilen.
Man muss vorweg sagen: Henning Scherf hat dieses Buch vor ca. 8 Jahren – 2005 – geschrieben bzw. schreiben lassen. Es entstand aus vielen Interviews mit ihm selbst, seiner Frau, seinen Freunden.
Es erschien, just als er sich von der politischen Bühne verabschiedet hatte. Das war für mich wichtig zu wissen, um seine Art von Euphorie: Wir „Alten“ können und wollen noch was bewegen!, Jetzt haben wir endlich die späte Freiheit, unser Leben so zu gestalten, wie wir es während der Berufsjahre nicht konnten!, Jetzt können und wollen wir noch als MentorIn, Großeltern, Lebenerfahrene uns einbringen, um Gesellschaft mitzugestalten.
Ohne diesen Hintergrund wäre mir das Buch über viele Strecken zu sehr auf „Leistung“, auf Gestalten- ist-das-neue-Lebensglück-im-Alter ausgerichtet. Ich war versucht, häufig einzuwerfen: Ja, alles gut und schön! Wenn man(n) priviligiert ist, über ein halbwegs vernünftige Rente verfügt, körperlich noch halbwegs fit ist, sich VORHER Sozialkontakte zugelegt und gepflegt hat.
Besonders interessiert hat mich das letzte Kapitel „Abschied nehmen“ , in dem es um die Frage geht, wie wir sterben wollen, wie wir mit unserem eigenen Tod „umgehen“ wollen. Diese vielen unterschiedlichen – seiner eigenen, denen seiner Frau und vielen Freunden – Sichtweisen erschließen einem viele Perspektiven, die zum Selber-Nachdenken anregen. Reflektieren, entscheiden muss das letztendlich jede und jeder für sich allein. Ob dem so sein muss, auch das stellt er als Frage in den Raum.
Was mir an dem Buch sehr gefallen hat, war die sehr offene und ehrliche Art, mit der er sich, seine Erfahrungen und Überlegungen den Lesern offenbart. Da ist kein Drumherumreden oder Psychologisieren: Es ist in jeder Zeile Henning Scherf, der sich da mit seinen Überlegungen, Erfährungen, Ängsten, Wünschen, Visionen dem Leser offenbart. Ebenso tun das seine Ehefrau und Freunde, die ebenfalls in dem Buch vorkommen und mit ihrer jeweils sehr unterschiedlichen Art und Perspektive auf das Thema „Altern“ schauen.
Interessant wäre es für mich zu erfahren, ob er Vieles heute – 9 Jahre später – noch genau so sieht oder was sich geändert hat inzwischen.
Fazit: Alles in allem ein sehr lesenswertes Buch für all jene, die auch die Chancen und Freiheiten, die im Älterwerden liegen, erkennen möchten und Ideen für eine andere, erfüllende Lebensgestaltung im Alter suchen. Oder für LeserInnen, die über den Menschen Hennig Scherf mehr erfahren möchten.
Grau ist bunt – Was im Alter möglich ist. – Henning Scherf, erschienen als Taschenbuch im Herder-Verlag für 9,99 Euro.
Und wie immer mein Appell: Appetit holen bei Amazon – kaufen beim kleinen Buchhändler um die Ecke.