Seitdem ich mich mit dem Thema „Wie treffen Menschen, wie treffen wir Entscheidungen“ beschäftige, komme ich immer mehr in den Zustand der sokratischen Demut: Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.
Lange Jahre wurde gepredigt: Du musst vernünftig entscheiden, sprich den Verstand zu Rate ziehen. Und Heerscharen von Menschen und Managern folgten dieser vermeintlich klugen Erkenntnis (Decartes: Ich denke, also bin ich, war daran nicht ganz unschuldig.)
Dann folgte vor nicht langer Zeit die Erkenntnis, die durch die Neurowissenschaftler sogar sichtbar gemacht werden konnte:: Entscheidungen fällen wir mit unserem Unbewussten, aus dem Bauch heraus. Ein Halbschrei ging durchs Beratungsvolk: Aha, die Entscheidungswelt ist doch nicht verstandesmäßig platt – oder anders ausgedrück: eine Scheibe, sondern nein, sie ist rund, sozusagen bauchrund, da Entscheidungen aus dem Bauch heraus gefällt werden.
Also lautete die Botschaft an die entscheidungssuchende Menschheit: Hört auf euren Bauch, DER hat den entscheidenden Anteil an euren Entscheidungen – und somit dem Wohl und Wehe eures Lebens.
Ich halte es mittlerweile eher mit denjenigen, die zu beweisen suchen, dass Verstand und Intuition Hand in Hand gehen, dass erfolgreiche Entscheider und kreative Menschen, sich eines ganzen Systems bedienen, das auf Wissen und Erfahrung beruht – und die weit mehr als aus einer kleinen Entscheidungserdkugel besteht. Diese innere Weisheit fließt in alle Entscheidungs- und Schaffensprozesse ein. Dirigent dabei sind wohl unsere Gefühle und unser Emotionales Erfahrungsgedächtnis, auf die und das wir nur begrenzt bewussten Zugriff haben.
Misstrauisch bin und bleibe ich Ratgebern und Gurus gegenüber, die glauben, DIE Weisheit, DIE Erkenntnis, die einfache Lösung parat zu haben und sie Ratsuchenden als Bibel verkaufen wollen.
Der Kontakt mit Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen hat mich gelehrt, dass die seriösen unter ihnen sich immer der Tatsache bewusst sind, dass Wissen immer nur Teilwissen ist, dass Wissen immer nur JETZT-Wissen ist – und das jeden Tag neue Erkenntnisse die Theorien, die sie zu beweisen suchen oder auch schon beweisen können, ihre Weltsicht oder in diesem Fall ihre Entscheidungskriteriensicht revolutionieren können.
Ratgebern, Büchern, Coaches, Beratern, Therapeuten, Ärzten (und ihren weiblichen Formen) die unreflektiert genau zu wissen meinen, wie „es“ geht, und mit dieser Haltung auf Menschen losgehen, stehe ich mehr als skeptisch gegenüber.
Wer mit Menschen, die Rat suchen, arbeitet, hat eine hohe Verantwortung. Der sind sich m.E. viele auf dem Ratgeber- und Beratungsmarkt nicht bewusst, was bedauernswert bis gefährlich ist und diejenigen in Misskredit bringt, die einen anderen Berufsethos haben.
Mein Rat an Hilfesuchende lautet daher: bevor du dich entscheidest, dich jemandem anzuvertrauen: Trau, schau wem! Und höre auf deinen Bauch UND deinen Verstand. Wir haben nämlich beides zur Verfügung.
Weiterführende Literatur: z.B. Intuition – Die Weisheit der Gefühle von Herald Traufetter, rororo-Sachbuch 62289.
Danke für diesen Kommentar.
Genauso ist auch meine Erfahrung.
Ich habe mich viel mit den Themen auseinandergesetzt und auch auseinandersetzen müssen, aber was ich fand waren zum Teil Bücher oder Lehrer, die zwar für sich etwas Gutes herausgefunden haben, aber auch gleichzeitig zu dem Schluss kamen, wenn das eine gut ist, ist das andere schlecht.
Bei näherer Betrachtung kam auch ich zu dem Schluss, dass sich viele ihrer Verantwortung nicht bewusst sein können und dass viel zu selten versucht wird mehrere Seiten des Ganzen zu beleuchten. So werden dann Verstandes-Konzepte verbreitet, die ungefiltert, je nach Bewusstsein des Konsumenten, zu Schwierigkeiten führen können, die alles noch schlimmer machen.
Das bringt einen nicht weiter und ich gehöre auch zu denjenigen die, den Satz genau wie Sie formuliert haben: Intuition und Verstand gehen Hand in Hand. Wäre es anders und der Stein der Weisen wäre schon gefunden, dann sähe die Welt sicher anders aus.
Hallo Beatrice,
ich sah grad, dass ich den Artikel 2009 geschrieben habe. Zwischenzeitlich habe ich, was VERSTAND angeht, noch mal zügig nachgearbeitet: Ich bilde mich philosophisch fort, und da, uaaaah, gibt es umgekehrt viele, die auch NUR der Ratio frönen.
Seine eigene Position zu finden, das kostet Zeit, zuweilen Nerven und auch Energie, aber, aber, ich finde immer wieder, es lohnt sich! Es macht (mich) ruhiger und gelassener.
Danke für Ihren unterstützenden Kommentar!
Hallo Mary,
danke für Ihre Antwort.
Ich habe in der letzten Zeit auch noch einmal ordentlich nachgelegt und kann bestätigen, dass es zu Anfang nicht einfach ist hier eine Position einzunehmen, da diese Sichtweise bisher absolutes Neuland ist.
Für hilfreich halte ich beispielsweise Ralf Bihlmaier, der ein Mentaltraining entwickelt hat, das beides, Intuition und Verstand, miteinander verbindet und es, wie ich finde, gut einordnet und sachlich und logisch erklärt.
Es ist ähnlich dem, wie es im Focusing gemacht wird.
Ein kleiner Meilenstein war für mich ein Buch von Baird Spalding aus dem Jahre 1894.(Leben und Lehren der Meister im fernen Osten) Hat nichts mit Gurus ect. zu tun. Es beantwortet viele offene Fragen zwischen Diesseits und Jenseits. Hier heißt es: Der Verstand ist das Bindeglied zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, wenn man es denn richtig macht.
Mittlerweile stehe ich zu dieser Ansicht, die für mich Hand und Fuß hat. Man braucht dann auch keine Konzepte mehr, die dual sind, um Verstand oder Intuition gegeneinander auszuspielen, wie es ja leider heute noch gerne gemacht wird. Und eines weiß ich, ich werde kein Buch mehr lesen, dass da nicht auf dem neuesten Stand ist.
Hallo, liebe Beatrice,
ja, mit dem Nachlegen, das kenne ich sehr gut. Und Nachgelegt habe ich, als ich nicht nur noch „think positive“ positiv zu finden, sondern anfing, endlich MEINE kritische Innenstimme ernst zu nehmen – mögen alle oder viele andere auch was anderes gut finden an diesem oder jenem.
Für mich war die Begegnung mit der Philosophie sowas wie ein (Wieder)Erweckungserlebnis: Kritisch sein, in Frage stellen, alles, immer mal wieder, zweifeln dürfen, sollen, tun – und das als TUGEND wahrzunehmen, das hat mich erlöst.
Und das „alles in Maßen“ auch.
Und dazu zu stehen, was für einen selbst wichtig und irgendwie auch „wahr“ ist, das ist dann noch mal ein weiterer Schritt, denn mit jeder Positionierung geht man das Risiko einer Gegenansicht an. Und die darf ein anderer auch haben.
Zu Ihrem letzten Satz mit den Büchern: Ich musste leicht schmunzeln, da kommt viel Nachdruck durch! Und auch DAHIN musste ich erst kommen, dass ich Bücher weglege, die mich nach 30 Seiten anöden oder keine IN-Bücher mehr lese, auch wenn alle Welt sie liest!
Danke für Ihren Kommentar und Ihre klaren Worte.