Es gibt Themen, die verdränge ich so gut es eben geht für eine Weile, bis sich auf einmal die Dinge zu verdichten scheinen und sie von allen Seiten auf mich einstürmen, zustürmen und gehört und geklärt werden wollen.
In diesem Fall ging/geht es um die Frage: Will ich meine Organe spenden? Ja oder Nein?
Die Verdichtung begann damit, dass ich vor enigen Wochen die Info-Broschüre der Krankenkasse aus dem Jahre ? samt Organspendeausweis unter einem Stapel Papiere wiederfand. Ich riss den Ausweis aus dem Infoblatt – und stellte ihn ‚erst mal‘ fein säuberlich vorne in die Visitenkartenkiste, die Broschüre verschwand ungelesen wieder auf dem berühmten Stapel: Irgendwie noch wichtig/später lesen.
Als Medien und alle (?) Welt sich über den „Organspendenskandel“ echauffierten, verschloß ich flugs Auge und Ohr, es berührte mich nicht wirklich, Ich wollte mich nicht damit auseinandersetzen – und irgendwann wurde es ja auch wieder ruhiger um dieses Thema.
Letztes Wochenende dann gewann das Thema an Dichte und Fahrt: Auf einer Geburtstagsfeier drehte sich das Gespräch am (Frauen)Tisch urplötzlich um das Thema Organspende. Der eindeutige Tenor: Die am Tisch Sitzenden würden dem keinesfalls zustimmen. Ich, unentschieden wie eh, fragte nach: „Wieso wollt ihr nicht spenden? Warum seid ihr so strikt dagegen?“ Mich beeindruckte zweierlei: a) dass diejenigen, die dagegen waren/sind, sich supergut informiert hatten, ihre Entscheidung bewusst getroffen hatten und diese schlüssig begründen konnten und b), die Gründe selbst, die dafür bzw. dagegen sprachen/sprechen.
J., Krankenschwester, berichtete drastisch und anschaulich, wie das bei Organspenden vonstatten geht und dass sie und viele Fachleute mittlerweile massivst bezweifeln, dass Hirntod gleich Tod/tot und Nichts-mehr-mitkriegen bedeute. Wer kannte oder kümmerte sich bis vor einigen Jahren schon um das Locked-In-Syndrom? Kaum einer. Wir wissen eben nicht ALLES, was sich zwischen Leben und Tod abspielt.
Ein paar Tage gingen ins Land. Bis zur nächsten Runde, und da wurde es dann wirklich massiv: Mein erwachsener Sohn besuchte mich. Weiß der Himmel (!), wie wir auf Organspendeausweise kamen, jedenfalls sagte er, er hätte sich DAFÜR entschieden. Er fände das eine gute Sache, das wäre doch ein humanes Werk, wenn jemand noch weiter leben könne mit Organen, die er dann sowieso nicht mehr bräuchte. Ich, ganz tolerante Mutter, Sohn ist schließlich erwachsen, murmelte irgendwas von: „Na ja, musste ja selber wissen“, ABER irgendwie rumorte und rumorte es in mir. Auf einmal stand nicht mehr die Frage, ob ICH spende im Raum, sondern: Kann ICH damit leben, wenn meinem Sohn die Organe rausgerupft werden, wenn ich wüsste, dass er da im Sarg irgendwie ausgeschlachtet vor mir liegt?
Gibt es Zufälle? Sonntagmorgens höre ich regelmäßig die LEBENEZEICHEN-Sendung im WDR3. Thema heute: „Nimm deine Organe nicht mit in den Himmel“ – Diskussion um eine umstrittene Spende.
Sie zeigte die unterschiedlichen Positionen und Perspektiven auf, in denen man sich diesem Thema nähern kann: Der von Ärzten, Religionen, Soziologen, Krankenschwestern, betroffenen Eltern, die ihre Einwilligung zur Organentnahme ihre Sohnes gegeben hatten – in einer Extremsituatio -und damit nicht klar kamen, einer Frau, die selbst ein Organ erhalten hat – und nichts über die Spenderin wissen will.
Wie ist Ihre Einstellung oder Entscheidung, wenn es um das Spenden Ihrer Organe geht? Sind Sie dafür oder dagegen? Aus welchen Gründen?
Wer noch unentschlossen bis verdrängend ist, dem lege ich die o.g. Sendung sehr ans Herz. Sie können Sie komplett nachhören und nachlesen unter diesem Link: WDR3-Lebenszeichen.