Liebe Leserin, lieber Leser,

ich weiß nicht, wie Sie auf das Wort GEDULD reagieren, ich jedenfalls kriegte aus dem Stand die ersten Jahrzehnte meines Lebens regelmäßig mittlere Tobsuchtsattacken, wenn mir jemand mit diesem Rat kam.

Oder wie reagieren Sie, wenn Sie jemandem Ihre langgehegten Träume, Ziele und Sehnsüchte mitteilen, oder jemandem offenbaren, dass Sie kurz davor sind zu resignieren: je den richtigen Partner, eine befriedigende Arbeitsstelle oder einen mitfühlenden Arzt zu finden und Ihr Gegenüber zuckt mit den Schultern und kommt mit der Super-Antwort um die Ecke: „Da musste halt Geduld haben!“

„Geduld, liebe Seele!“ war jedenfalls einer der Lieblingssprüche Erwachsener, der mich durch die Kindheit und Jugend begleitete: immerzu hatte ich das Gefühl, du bist zu schnell und ungeduldig: in deinem Wünschen, Wollen, Haben-Wollen, Lernen-wollen, Wissen-wollen, Tun-wollen.

Zusammengefasst kam bei mir an: Geduld ist was gaaaaanz Tolles und Tugendhaftes  – und Ungeduld ist das Allerletzte, was ich oder ‚man‘ nicht haben sollte.

Warum reagieren viele Menschen auf den Rat, Geduld zu haben, allergisch bis aggressiv?

1. )

Weil der Rat häufig die verkappte Botschaft enthält: du sollst keine Gefühle haben oder zeigen. Geduld haben bedeutet aber nicht, dass wir durch den zuweilen zermürbenden Prozess der Veränderung und Zielerreichung gehen, ohne dabei etwas zu empfinden!

Ein Beispiel dazu:

Sie stehen auf dem Bahnsteig und warten auf die Deutsche Bundesbahn.  Da erklingt eine liebliche Stimme, die Ihnen mitteilt: Der Zug nach Irgendwo hat ca. 30 Minuten Verspätung.

Ich glaube, jede und jeder kämpft in diesem Moment mit Gefühlen wie: Frust, Wut, Ärger, Ungeduld.

Die Gefühle sind da und mit denen gilt es umzugehen: das KANN bedeuten, dass ich mir sage: Nundenn, dann muss ich mich halt gedulden. Oder ich gehe mich beschweren. Oder ich kaufe mir ein Brötchen, um mich zu beruhigen oder mir die Warterei erträglicher zu machen.

Da braucht es denn manchmal Geduld (auch mit sich selber), um besser oder anders mit seinen Gefühlen umgehen zu lernen.

2.)

Weil hinter dem Rat „Du musst Geduld haben!“ das Wörtchen „immer“ mitschwingt, sprich: Du solltest eigentlich immer Geduld haben.

Es geht aber wie so häufig nicht um ein „Entweder…oder“,  nicht um ein „Geduld-ist-gut-und-Ungeduld-ist-generell-schlecht“, sondern darum, flexibel und je nach Situation BEIDES! einsetzen zu können.

Ich finde,  Ungeduld ist durchaus in vielen Fällen angebracht und ein großer Motor, Umstände, Situationen zu verändern, die nicht mehr tragbar sind: sei es im privaten, beruflichen oder politischen Bereich.

Doch Vorsicht! Nicht ins andere Extrem verfallen und nun immer ungeduldig sein und alles gleich und sofort wollen (Langfristig-denken war ja grad nicht „in“ bei manchen ungeduligen Bankern und Firmen….) Es geht darum, das rechte Maß zu finden – wie immer, wenn es um Lebenskunst geht.